Du führst ein Unternehmen und deine Mitarbeiter:innen bestürmen dich die 4-Tagewoche einzuführen? Sie sagen, die 4-Tagewoche ist gut für den Umsatz, die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden, gratis Werbung für die Firma, aktuell noch ein Alleinstellungsmerkmal, um die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern? Keine Sorge – hier sind fünf Gründe, warum du die 4-Tagewoche nicht einführen solltest.
Du müsstest dich verändern
Das ist eine Tatsache. Alle Beteiligten in einer so grossen Transformation müssen sich verändern. Die 4-Tagewoche macht keinen Halt vor Titel oder der Zeit, die eine Mitarbeitende in einem Unternehmen ist. Zu Beginn der Pilotphase überprüft jede:r kritisch die eigene Arbeitsweise, um Optionen für Effizienz- und Produktivitätssteigerung zu identifizieren. Mit Identifizieren ist die Arbeit nicht getan. Der nächste Schritt ist die Veränderung. Implizit bedeutet das auch: Ich war vielleicht doch nicht so 120 % effizient oder produktiv, wie ich gerne behaupte. Dies den anderen und sich selbst einzugestehen, ist im besten Fall unangenehm.
Weit verbreitet ist auch der Glaubenssatz, dass Führungskräfte oder Geschäftsführer:innen mindestens, wenn nicht mehr als 100 % arbeiten müssen. Das kann auch zum Selbstbild gehören – Ich bin jemand, der sehr viel arbeitet. In der 4-Tagewoche wird dieses Selbstbild herausgefordert. Ein Schlüsselelement der 4-Tagewoche ist die Reduktion von Arbeitszeit. Das Selbstbild müsste angepasst werden – ein wahrlich schwieriges Unterfangen.
Ein Abschied des Gewohnten
Seit Jahren beschwört und feiert ihr die hauseigene Kultur und die Werte an Firmenevents. Eure Prozesse laufen rund – das dazu gerne verwendete Bild ist die gut geölte Maschine. Die 4-Tagewoche ist mehr als nur verkürzte Arbeitszeit. Sie ist ein Impuls der Veränderung für das gesamte System Unternehmen. In der Pilotphase werden nicht-optimale und fehlende Prozesse sichtbar. Auch blinde Flecken und negative Implikationen, von sonst als positiv wahrgenommenen Eigenschaften der Kultur, können auftauchen.
Am Ende des erfolgreichen Piloten von seerow, wurde unter anderem deutlich mehr Transparenz und Kompetenzdelegation gelebt. Das ermöglicht Mitarbeitenden, unabhängig von abwesenden Teammitgliedern, kompetente Entscheidungen zu treffen.
Wie mit den eigenen Optionen zur Effizienz- und Produktivitätssteigerung, müssen auch bei blinden Flecken in Kultur und Prozessen Anpassungen vorgenommen werden. Das ist nicht nur eine Verbesserung, sondern gleichzeitig auch ein Abschied von Gewohntem, ein Verlust. Ein bei Transformationen gerne übersehener Aspekt, der auch Widerstand erzeugen kann. Judit Teichert und Elisabeth Heid, Expertinnen für Entwicklungs- und Veränderungsprozessen, bringen dies in dem Artikel Shared Pain is Taboo auf den Punkt.
Der Wechsel kreiert Instabilität
Veränderung bringt nicht nur potenziell das Selbstbild und die Kultur in Bewegung, sie erzeugt auch Instabilität. Beim Übergang von der 5- zur 4-Tagewoche, geht das System von einem stabilen Zustand in den nächsten stabilen Zustand. Der Übergang allerdings ist instabil.
Instabilität kann Unsicherheit erzeugen. Die Pilotphase soll dies erleichtern. Sie schafft einen überschaubaren Zeitrahmen für den Übergang. Am Ende der Pilotphase wird entschieden, ob zurück zum alten Modell gegangen oder die 4-Tagewoche beibehalten wird. Dies schafft ein Mass an Sicherheit. Diese, wenn auch zeitlich begrenzte, instabile Phase muss ausgehalten werden.
Du verlierst Kontrolle
Unabhängig davon, ob der Verlust bewusst oder unterbewusst wahrgenommen wird – wer nicht jeden Tag im Büro ist, kann nicht kontrollieren, ob und wie Mitarbeitende arbeiten. Dahinter steckt fehlendes Vertrauen oder der Glaube, dass die Mitarbeitenden nur den maximalen Gewinn für sich erzielen wollen. Ein solcher Glaubenssatz könnte heissen «Sobald ich mich umdrehe, hören die Mitarbeitenden auf zu arbeiten.» Dass dieser Kontrollverlust nicht vernachlässigbar ist, lässt sich an der Haltung zur Arbeit im Homeoffice verbildlichen. Durch die Pandemie dazu gezwungen, führten viele Firmen widerwillig Homeoffice ein. Ein Kontrollmechanismus war die weitverbreitete Kamerapflicht während Meetings. Andere hoben die Arbeit im Homeoffice sofort auf, als der Staat die Pflicht aufhob.
Die Umsetzung kann scheitern
Bei keiner Reise ist Ankommen garantiert. Natürlich lassen sich beliebig klassische Werkzeuge des Projektmanagements auf den Piloten anwenden. Messungen diverser Indikatoren, wie Zufriedenheit der Mitarbeitenden, Umsatz und Krankheitstage können Hinweise darauf geben, wie der Pilot läuft. Aber zum einen können sich diese Zahlen aus ganz anderen Gründen als dem Piloten verändern, zum anderen verändert die Existenz von Zahlen erstmal nichts.
Das ist kein Gegenargument zu Indikatoren. Perpetual Guardian konnte aufgrund von Indikatoren eine Abteilung identifizieren, bei der der Pilot nicht gut lief. Als Folge wurde die Abteilung zwischenzeitlich wieder auf 5 Tage Arbeit gesetzt. Im Anschluss konnte das Problem behoben werden. Auch diese Mitarbeitenden sind jetzt auf der 4-Tagewoche.
Die Kontrolle kann aber Vertrauen in die Mitarbeitenden nicht ersetzen. Das Vertrauen, dass sie die 4-Tagewoche möglich machen. Der innere Prozess, die Aktivierung, die Verantwortung für das eigene Handeln und die eigene Arbeit zu übernehmen, lässt sich nicht forcieren. Das Vertrauen ist insbesondere dann wichtig, wenn der Weg nicht gerade verläuft oder ein Rückschritt passiert.
Wer glaubt, dass seine Mitarbeiter:innen nicht die notwendige Leistungssteigerung hinbekommen, wird scheitern. Wer nicht an die erfolgreiche Implementierung der 4-Tagewoche glaubt, wird auch scheitern. Dabei ist irrelevant, ob ich nicht daran glaube, weil ich den Mitarbeitenden nicht vertraue oder weil ich der Meinung bin, dass wir bereits alles in Bezug auf Effizienz und Produktivität ausgeschöpft haben. Glaubenssätze haben wirklichkeitsschaffende Effekte.
Einer der wenigen öffentlichen Fälle von gescheiterter Einführung ist der des schwedischen Bioprinting Herstellers Cellink. Der CEO Erik Gatenholm sagte 2018 in einem Interview «I was not convinced it was a viable option but I was willing to give it a shot to test the waters.». Zu Deutsch: «Ich war nicht überzeugt, dass es eine mögliche Option ist, aber war bereit es zu testen.» Dabei lag das Scheitern sicher auch an der fehlenden Überzeugung. Warum sollte ich als Mitarbeiter ernsthaft versuchen meine Leistung zu steigern, wenn der CEO eh nicht an Erfolg glaubt?
Damit ist nicht gesagt, dass die 4-Tagewoche überall funktioniert, nur weil an den Erfolg geglaubt wird. Unternehmen, die in erster Linie Arbeitszeit verkaufen, müssten ihre Verträge und Geschäftsmodell überdenken. Das ist ein ziemlicher Aufwand und nicht immer möglich. Ärzte können nicht zwei Kranke gleichzeitig behandeln. Selbst wenn sie das könnten, sieht die Abrechnung mit den Kassen dies nicht vor.
Die 4-Tagewoche einzuführen, ist ein Risiko. Dank des Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften Kahneman und seinem Kollegen Tversky wissen wir, dass die Angst vor Verlust im Gegensatz zum potenziellen Gewinn tendenziell überbewertet wird. Der Name dafür ist Verlustaversion. Sprich, das ebenso existente Risiko, dass durch Nichtwagen der Einführung entsteht, fällt unter den Tisch.
Das sind fünf valide Gründe, warum du die 4-Tagewoche nicht einführen solltest. Möchtest du den Piloten doch wagen, ist dies eine Liste von sekundären Gewinnen und potenziellen psychologischen Widerständen, auf die bei der Einführung zu achten ist.
Photo by Karolina Grabowska from Pexels
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